Gedenken an Charlie Hebdo - Leserbrief zum SZ-Artikel "Frankreichs offene Wunde"

Bund für Geistesfreiheit München am 8. Januar 2015 in der Kulturbühne Hinterhalt
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Assunta Tammelleo, Vorsitzende des Bundes für Geistesfreheit München, hat anlässlich des 10. Jahrestags des „Charlie Hebdo“-Attentats einen Leserbrief an den Journalisten Nils Minkmar geschrieben, der am 6. Januar 2025 den Artikel "Frankreichs offene Wunde" in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht hatte.
 
Sehr geehrter Herr Dr. Minkmar,
 
auf diesem Weg wünschen wir – unbekannterweise – ein gutes Neues Jahr 2025.
 
Bei der täglichen SZ-Lektüre war mir gestern der von Ihnen verfasste Artikel „Frankreichs offene Wunde“ eine besonders gründliche Betrachtung wert. Es ist ja wirklich löblich, dass 10 Jahre nach dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo doch damit irgendwie auch der Opfer dieses Angriffs auf Kunst-, Meinungs- und Pressefreiheit auf der Seite „Medien“ gedacht wird. Denn ansonsten ist es gerade in den Medien seit dem 1. Jahrestag 2016 unfassbar still, was „Charlie“ anbelangt. Warum ausgerechnet Journalisten, Autoren, Medienmacher … sich jährlich in gründliches Schweigen hüllen rund um den 7.1.25, das erscheint unbegreiflich… .
 
Der Untertitel zum Artikel – „Warum von der damaligen Einigkeit kaum etwas geblieben ist“ – lässt die Hoffnung aufkommen, dass genau darauf eine Art Antwort kommen könnte… Nun, der Slogan „Je suis Charlie“ sei anmaßend. Wie bitte? „Je suis Charlie“ ist nicht anmaßend; er bedeutete für die Meisten bestimmt nicht, dass auch sie ihr Leben geben würden für die Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit, sondern dass sie diesen Angriff auf die Redaktion verurteilen, ihre Trauer bekunden, Anteil nehmen, sich solidarisch mit den Opfern zeigen …. Sein Leben für die Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit zu geben, das wird wohl keine Redaktion von ihren Mitarbeitern verlangen! Und – so sie vorher gefragt worden wären – hätten die Ermordeten des 7.1.15 mehrheitlich ein solches Opfer vermutlich auch abgelehnt, verständlicherweise.
 
Die Antwort auf die Frage (s.o.) bleibt der Artikel schuldig. Der „(…) starke Anstieg der extremen Rechten in der Nationalversammlung und die Ausbildung einer mächtigen, migrations- und minderheitenfeindlichen Mediensphäre (…)“ gibt genau keine Antwort. Es sind allen voran Journalisten, Autoren, Medienmenschen, die sich dazu entschlossen haben (in Frankreich wie in Deutschland), „(….) (dass) jedes Verbrechen eine Schlagzeile und eine Sondersendung wert (ist), solange die Tatverdächtigen ins muslimisch-dunkelhäutige Schema passen (…)“. Genau diese Schwerpunktsetzung ist das Problem. Die kommt ja nicht aus dem Nichts und ist einfach da. Die inhaltlichen Schwerpunkte setzen in der Medienwelt sehr bewusst genau jene verantwortlichen Medienmacher, die mit dem Attentat auf Charlie Hedbo auch mit gemeint waren. Denn: man kann nicht nur öffentlich unbotmäßig zeichnen, sondern auch unbotmäßig schreiben, sprechen, singen…. Allein: der Einsatz für Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit nimmt sich vielleicht allmählich für die Medienwelt selber eher aus wie ein Ladenhüter vor dem Hintergrund, dass dunkelhäutige, vollbärtige, mit Macheten bewaffnete Männer unter lauten „Allahu akbar!“- Rufen Einrichtungen der weißen, reichen Bildungsbürger stürmen und mit den dabei zu beklagenden Toten besonders hohe Verkaufszahlen generieren!
 
Und so gehe ich davon aus, dass es mit Sicherheit auch heuer eine absichtliche Entscheidung der Redakteure der Süddeutschen Zeitung gewesen ist, das jährliche Gedenken des Bund für Geistesfreiheit München an das Attentat vom 7.1.15 zu ignorieren. Mit unserem Gedenken immer am 7.1. sind wir in den letzten Jahren zu Gast im Münchner „Rationaltheater“, einer Kultureinrichtung, die für eine solche Veranstaltung bestimmt die bestmöglichste ist, die man sich in München und weit drum herum vorstellen kann. Unsere Pressemeldungen hierzu gehen auch der Süddeutschen Zeitung – mehrfach – rechtzeitig im Vorfeld zu! Ohne Erfolg.
 
Aber eines möchte ich betonen: Ihre Behauptung „Leider blieb niemand sehr lange Charlie“ weise ich im Namen unseres Vorstands und unserer Mitglieder mit Entschiedenheit zurück. Sie ihrerseits ist schlicht anmaßend! Denn: Ganz München ist u.U. von ignoranten Medienmachern besetzt. Ganz München? Nein! Eine von zahlreichen unbeugsamen Ungläubigen bevölkerte Landeshauptstadt hört nicht auf, den ignoranten Medienmachern Widerstand zu leisten und das Gedenken an die Opfer vom 7.1.2015 und die Mahnung an den beständigen Einsatz für Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit hochzuhalten!
 
In diesem Sinne: Ihnen allen weiterhin frohes Schaffen, engagiertes und bekömmliches Auf-der-Welt-Sein,

herzlichst,

Assunta Tammelleo